„Schlechte Arbeit fällt nicht einfach vom Himmel“ - Schlechte Arbeit ist politisch gewollt
das war eine der Kernerkenntnisse der Kooperationsveranstaltungvon KönzgenHaus, Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt, KAB Bildungswerk Münster und KAB Bezirksverband Recklinghausen.
Am konkreten Beispiel der Situation von Arbeitenden in der Fleischindustrie, in Pflegeberufen und bei Lieferdiensten waren wir in den vergangenen Monaten der Frage nachgegangen, wie es um die Würde der Arbeit in unserer Gesellschaft bestellt ist, wie die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sind und welche Probleme besonders drängen. In der Abschlussveranstaltung am vergangenen Donnerstag stand unter dem Motto „Würdige Arbeit – Solidarische Gesellschaft“ nun die Analyse der menschenrechtlichen Folgen und die Voraussetzungen würdiger Arbeit im Vordergrund.
Mit den beiden Experten Prof. Dr. Gerhard Bosch (Universität Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Franz Segbers (Universität Marburg) wurde erarbeitet, wie genau würdige Arbeit aussieht und wie wir diese politisch und gesellschaftlich erreichen können. Beide fanden deutliche Worte zur aktuellen Situation; so stellte Franz Segbers fest, dass prekäre Arbeitsbedingungen eben nicht einfach vom Himmel fallen – vielmehr sei schlechte Arbeit politisch gewollte und eine Folge des Neokapitalismus. Die Hinnahme von „Unwürdiger Arbeit“ bezeichnet er als Ausdruck der Verachtung an den Menschenrechten.
Auch Gerhard Bosch prangerte an, dass sich in den vergangenen Jahren immer mehr und mehr Unternehmen still und heimlich vom deutschen Sozialstaat verabschiedet hätten: Tätigkeiten wurden und werden mehr und mehr in günstigere Subunternehmen ausgelagert, Tarifverträge und Gewerkschaften seien nicht mehr gewollt, Betriebsratsgründungen und Mitbestimmung verhindert. So bekomme mittlerweile nur noch jede*r Zweite Lohn nach Tarif; fast 50 Prozent der Beschäftigten erhalte einen Lohn, der einseitig vom Unternehmen festgesetzt wird. „Geht es so weiter, sind es in zehn Jahren nur noch ein Drittel aller Beschäftigten, dienach Tarif bezahlt werden. Wir verlieren die soziale Mitte.“ Allgemeinverbindliche Tarifverträge – das sei die Hauptaufgabe, die wir verfolgen müssten, um diesen Trend aufzuhalten: „Es ist unsere Aufgabe, ein System herzustellen, dass die würdige Arbeit sichert.“
„Arbeit muss wieder Vorrang haben vor dem Kapital!“ Diese alte Forderung der katholischen Soziallehre will Franz Segbers wieder in den Fokus rücken: „Wir hatten mal bessere Bedingungen - die sind verschlechtert worden. Jetzt müssen wir Terrain zurückgewinnen.“ In der Pflicht: Gewerkschaften und Sozialverbände, so der Konsens des Abends. Diese müssten als „Aussäer“ fungieren und eine Debatte darüber führen, wie ein gerechtes Wirtschafts- und Arbeitsmodell aussehen kann.
Der heftige Sinkflug der Gewerkschafts-Mitgliedszahlen in den vergangenen zwanzig Jahren sei immerhin gestoppt, so Diskussionsteilnehmer und Gewerkschaftler Mark Rosendahl; jetzt müsse man wieder und weiter genau da ansetzen, wo es beispielsweise „Fridays For Future“ gezeigt hätte: „Soziale Bewegung ist ein wichtiger Motor, ohne ändert sich einfach gar nichts!“
KönzgenHaus-Geschäftsführer Norbert Jansen stimmte zu: „Wir haben momentan ein Organisationsproblem - ein Imageproblem. Nicht nur die Gewerkschaften, sondern alle größeren Organisationen. Ob in den Gewerkschaften, Parteien, bei den Sozialverbänden, auch in der KAB - es sind soziologische und pädagogische Fragen, die wir jetzt in den Fokus nehmen müssen, um neue Mitglieder zu gewinnen.“
Die wichtigste Frage, die sich dann herauskristallisierte:
Wie kommen die Gewerkschaft denn jetzt zu neuen Mitgliedern?
Mit der Diskussion über die Möglichkeiten von steuerrechtlichen Vorteilen oder der Herausstellung der großen Bedeutung im öffentlichen Diskurs wurden Antwortversuche gestartet, die demnächst tiefgründiger behandelt werden sollen; denn auch wenn diese Kooperations-Veranstaltungsreihe an dieser Stelle endet, steht die nächste schon in den Startlöchern, verkündeten die Moderatoren des Abends, Prof. Dr. Werner Nienhüser von der Universität Duisburg-Essen und Ortrud Harhues, Leiterin des KAB-Bildungswerkes Münster: „Schlechte Arbeit wird gemacht. Und alles, was von Menschen gemacht wird, ist auch veränderbar. Wir sind noch lange nicht fertig mit diesem Thema und dem Nachdenken darüber.“, so Harhues zum Abschluss.
Erleben Sie den Abschluss unserer Veranstaltungsreihe hier noch einmal mit:
Digitalmitschnitt „Würdige Arbeit – Solidarische Gesellschaft“ vom 17.06.2021
Dass noch viel Diskussionsbedarf, aber auch viel Wille zur Veränderung besteht, verdeutlicht übrigens auch die inhaltliche Ausrichtung der KAB Bundesdelegiertenversammlung 2021, die am vergangenen Wochenende den Leitantrag „Für ein christliches Miteinander in der Arbeitswelt! WERTvoll arbeiten – menschenwürdig statt prekär“ diskutiert und mit großer Mehrheit verabschiedet hat.