Seit mehreren Wochen streiken die Pflegekräfte der Unikliniken in NRW für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. Die Stimmung ist aufgeheizt, viele Operationen mussten wegen des Streiks bereits verschoben werden. Zuletzt hatte die Uniklinik in Bonn sogar gegen die Streiks geklagt – ohne Erfolg: Der Arbeitskampf der Gewerkschaft Verdi geht lautstark weiter.
Aber - wie geht es den Mitarbeitenden in den katholischen Krankenhäusern hierzulande?
Und wie beurteilen die Mitarbeitervertretungen den aktuellen Streik der Kolleg*innen an den Unikliniken? Dazu haben wir mit Andreas Volmer gesprochen; der 64-jährige ist seit 25 Jahren MAV-Vorsitzender am Standort Prosper-Hospital Recklinghausen bei der Proselis gGmbH.
KönzgenHaus: Herr Volmer, an den Unikliniken in NRW wird schon länger gestreikt - wie ist denn die Situation in den katholischen Häusern? Hier wird ja nicht gestreikt; weil sie nicht dürfen? Oder weil Sie auch gar nicht wollen würden?
Andreas Volmer: Genau, Sie sagen es – zum einen dürfen wir gar nicht streiken, dafür sind in katholischen Einrichtungen die rechtlichen Möglichkeiten nicht gegeben. Anders als in Krankenhäusern, die von öffentlicher Hand geführt werden, fahren wir in katholischen Häusern ein konsensorientiertes Modell; das heißt, bei Konflikten wollen Dienstgeber und Mitarbeitende durch „gegenseitiges Nachgeben“ zu einer Einigung kommen. Natürlich leben aber auch wir nicht auf einer Insel der Glückseligen; auch wir haben ähnliche Probleme wie an den Krankenhäusern im ganzen Land, auch wir leiden unter Fachkräftemangel, insgesamt zu hoher Arbeitsbelastung, auch uns kämen nachhaltige Investitionen der Landesregierung sehr zugute. Dennoch scheint die aktuelle Situation an den Uniklinken doch noch angespannter als in den katholischen Einrichtungen; das ist zumindest mein persönlicher Eindruck. Aber natürlich sollte man die Situation auch bei uns nicht schönreden.
KönzgenHaus: Eine Forderung, die dieser Tage im Gesundheitswesen immer wieder gestellt wird: Mehr Lohn für die Pflegenden. Wäre mehr Gehalt ihrer Meinung nach tatsächlich DAS Allheilmittel für die Misere? Würden Sie das so unterschreiben?
Andreas Volmer: Nein. Ganz klares Nein. Klar könnte oder würde fast jeder in jedem Beruf immer gerne mehr Geld verdienen; aber hier geht es meiner Meinung nach nicht ums Geld. Die Pflege insgesamt braucht mehr Geld, eindeutig! Aber mit mehr Vergütung für den Einzelnen ist es nicht getan. Sehr deutlich hat uns das eine Blitzumfrage gemacht, die wir hier am Prosper Hospital vor einigen Monaten gemeinsam mit der KAB durchgeführt haben: Auf die Frage „Was sollte sich für Ihre Arbeit am dringendsten ändern?“ sollten die Mitarbeitenden sich zwischen drei Alternativen entscheiden:
Höherer Lohn, wirklich verlässliche Dienstpläne oder maximal sieben Tage am Stück arbeiten zu müssen. Das Ergebnis hat uns dann erstmal überrascht: Die meisten Antworten gab es tatsächlich für den höheren Lohn. Auf genauere Nachfrage kam dann aber raus, dass die meisten Kolleg*innen, die sich dafür entschieden hatten, sich zwar eigentlich tatsächlich klar für die freien Wochenenden oder verlässlichere Dienstpläne entscheiden würden. An die tatsächliche Realisierung davon würden sie aber längst nicht mehr glauben; und so hätten sie sich für mehr Lohn entschieden – denn damit könnte man dann ja die Arbeitszeit reduzieren und durch Teilzeitarbeit selbst für mehr Freizeit zu sorgen.
Der höhere Lohn würde dann im Endeffekt nur den Verdienstausfall durch das Kürzertreten kompensieren! Wenn man diesen Faden weiterspinnt, hätten wir durch die Maßnahme „einfach mehr Lohn“ am Ende sogar paradoxerweise weniger Personal(stunden) als zuvor – und noch mehr Probleme. Natürlich war unsere Blitzumfrage nicht wissenschaftlich fundiert, aber doch sehr aufschlussreich: Es geht den Mitarbeitenden wirklich um Entlastung – durch mehr Personal, planbare Freizeit, und regelmäßige freie Wochenenden, die auch wirklich frei bleiben – ohne den Druck, wieder mal einspringen zu müssen.
KönzgenHaus: Wie sieht es denn in ihrem Haus aus – warten Sie auf Maßnahmen der Politik, oder haben Sie als MAV gemeinsam mit dem Dienstgeber bereits eigene Maßnahmen entwickelt, um den Kolleg*innen Entlastung zu verschaffen?
Andreas Volmer: Nein, einfach nur warten bringt nichts, deshalb sind wir schon selbst tätig geworden, um die Arbeitssituation für die Mitarbeitenden zu verbessern. So gehören bei uns Umkleide- und Wegezeiten schon länger zur Arbeitszeit. Unsere Kolleg*innen dürfen nur maximal 48 Stunden wöchentlich und maximal zehn Stunden am Tag arbeiten. Danach können Sie die Leistung verweigern – und würden dabei auch von uns unterstützt! Keiner darf gegen seinen Willen aus dem Frei geholt werden, und wir achten sehr darauf, dass die gesetzlichen Pausen eingehalten werden. Das klingt für andere Branchen an manchen Stellen nach Selbstverständlichkeiten – wird so aber tatsächlich nur an den wenigsten Häusern tatsächlich durchgesetzt. Außerdem setzen wir als MAV auf die Stärkung und Stützung der Mitarbeitenden. Sie müssen lernen, sich selbst zu schätzen und ihre Grenzen zu wahren. Denn gerade in der Pflege arbeiten sehr viele Menschen, die immer alles geben wollen – oft über ihre eigenen Kräfte hinaus. Das ist auf Dauer natürlich nicht durchhaltbar.
KönzgenHaus: Was bedauern Sie an der aktuellen Situation in der Pflege am Meisten?
Andreas Volmer: Am traurigsten ist meiner Meinung nach, dass die Pflege in der öffentlichen Diskussion mittlerweile regelrecht kaputt geredet wird. Denn eigentlich ist sie ein wirklich schöner und sinngebender Beruf, der an und für sich auch gut bezahlt wird. Aber leider ist die Belastung einfach zu hoch. Das muss sich dringend ändern, beispielsweise durch die PPR 2.0, also die Pflegepersonal-Regelung 2.0. Und dazu müssen wir dringend wieder mehr Menschen für die Pflege begeistern, und den ungerechtfertigt schlechten Ruf loswerden.
KönzgenHaus: Was genau bräuchte es dafür konkret? Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Andreas Volmer: Zunächst einmal: Jede oder jeder Pflegende*r kann ganz konkret mithelfen, die Pflege nach vorne zu bringen und für seine Bedürfnisse einzustehen – indem er oder sie sich organisiert. In kirchlichen Häusern haben wir gerade mal zwei Prozent an Mitarbeitenden in Gewerkschaften – das ist viel zu wenig. Manchmal ist das Finanzielle die Hürde – aber dann gibt es die Möglichkeit, in den Berufsverband einzutreten – oder zumindest in die KAB, um im Fall der Fälle eine Rechtsvertretung an der Seite zu haben. Insgesamt gesehen brauchen wir dringend eine Pflegekammer. Diese soll für Nordrhein-Westfalen noch in diesem Jahr eingerichtet werden. Aber die Widerstände dagegen sind teilweise enorm – für mich völlig unverständlich! Ich begrüße die Einrichtung einer Pflegekammer sehr; denn diese wird zwar nicht das Tarifgefüge verbessern, aber Einfluss auf die Qualität der Pflege nehmen und für Entlastung sorgen. Das ist neben dem Berufsverband und der Gewerkschaft ver.di meiner Meinung nach einer der drei Mosaiksteine auf dem Weg in eine bessere Zukunft der Pflege.
Dieser Dreiklang kann viel nach vorne bringen.
Foto: Andreas Volmer (privat)