Aus dem Seminarraum kommen erdige Gitarrensounds. Hinter dieser Tür wohnt gerade der Blues, kein Zweifel. Durch das Treppenhaus hallen Saxophonklänge. Kurz stehenbleiben, noch einmal hinhören… Das ist doch? Genau, „Das Modell“, der Klassiker der Elektro-Pioniere Kraftwerk. In der Aula grooven zwei Schlagzeuger und nebenan wird die Tonleiter geübt. Wer zwischen den Jahren das KönzgenHaus in Haltern besucht, der läuft durch eine einzige große Klangwolke.
„Viva La Musica -Beteiligung und Gestaltung“ heißt die Tagung, die vom 27. Dezember bis zum 4. Januar im Bildungshaus stattfindet. Wobei das Wort Tagung die Atmosphäre nur unzureichend wiedergibt. Wenn sich gut 100 Musiker in Haltern treffen, um gemeinsam Musik zu machen, sich auszutauschen über drängenden Fragen unserer Zeit, bewährte musikalische Pfade zu gehen, neue Wege einzuschlagen und das vom Frühstück bis spät in die Nacht — dann ist das keine Tagung. Sondern ein großer Musikclub, der Perspektiven für eine solidarische Welt entwickelt. Eine Konzertbühne, viele kleine und große Proberäume und ein Ort für Sessions. Seit 2019 hat „Viva La Musica“ einen festen Platz im Kalender des KönzgenHauses.
Das Konzept ist einfach: Musiker, egal ob Profi oder Amateur, kommen zusammen, um das zu tun, was sie am liebsten tun – musizieren. Ohne Stress und ohne Druck, denn davon haben Musiker, wenn sie auf der Bühne stehen, sowieso mehr als genug. 1980 gab es das erste Treffen, damals noch im münsterländischen Hopsten. In der eng vernetzten Musiker-Gemeinde sprach sich der Termin schnell herum und so gibt es inzwischen die dritte „Viva La Musica“-Generation, die zwischen den Jahren die Noten einpackt und nach Haltern fährt.
So bringt es Heidrun Stritzke, die das Treffen seit Jahren organisiert und im Hauptberuf an der Folkwangschule für Musik unterrichtet, auf den Punkt. Es gibt Stammgäste, die seit den Anfängen dabei sind und es gibt Neueinsteiger. Neben dem Schornsteinfeger sitzt die Berufsmusikerin, die in Klassik-Ensembles spielt — und wer kein Instrument spielt, ist willkommen als Sängerin oder Sänger. Und auch das ist typisch für „Viva La Musica“: Jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer kann einen Workshop anbieten. Alles ist selbstorganisiert und hat etwas von Graswurzel-Bewegung.
„Der Geist des Hauses passt zu uns. Hier trifft kulturelle Bildung auf politische Bildung“, sagt Peter Junk, der das Treffen 1980 ins Leben gerufen hat und mit 72 Jahren inzwischen einer der ältesten Teilnehmer ist. „Es gibt hier eine große Offenheit, wir können hier vieles ausprobieren, bis spät in die Nacht spielen, ohne jemanden zu stören“, ergänzt Heidrun Stritzke. Und außerdem ist da die große Kreativität, die entsteht, wenn gut 100 Musiker die Köpfe zusammenstecken. „Da kommen Wahnsinns-Sachen heraus. Wir hatten mal einen Workshop zum Thema Rhythmus. Da saßen 40 Leute und schnippten mit den Fingern. Irre!“
An Silvester gab „Viva La Musica“ für die Bewohner des Altenwohnhauses St. Anna ein Konzert. Beim Neujahrsschwimmen „Haltern im See“ sorgten Musikerinnen und Musiker des Projekts für die passende Begleitung am Strand des Haltener Stausees.